Peter Schallenberg | 25. November 2020
Kommentar von Peter Schallenberg zum Film „Gott“
Der „Wert des Lebens eines Menschen liegt bereits im bloßen Faktum, dass er ein menschliches Wesen ist“. So der Direktor der KSZ, Prof. Peter Schallenberg zusammen mit dem Erzbischof von Paderborn Hans-Josef Becker zu dem am 23. November 2020 im ARD ausgestrahlten, vielbeachteten Fernsehfilm „Gott“, der das mittlerweile mehrfach aufgeführte gleichnamige Theaterstück von Ferdinand von Schirach inszeniert. Dabei geht es um den Fall des 78-jährigen, kerngesunden Richard Gärtner, der sein Leben durch ein Medikament und mit Hilfe seiner Ärztin beenden möchte. Er will sterben, obwohl er sich selbst sowohl körperlich als auch psychisch als gesund bezeichnet. Warum will er seinen Tod? Weil nach 42 Jahren Ehe seine Frau gestorben ist und er ohne sie in seinem Leben keinen Sinn mehr erkennen kann. Dieser Sterbewunsch wird im Film von einem Ethikrat diskutiert. Die Besonderheit des Fernsehfilms und Theaterstücks: Der Zuschauer soll sich selbst ein Urteil bilden, die Mitglieder des Ethikrates liefern Argumente, aber das moralische Urteil fällt schließlich der Zuschauer. 70,8% der Zuschauer stimmten am Ende dafür, dass Richard Gärtner den von seiner Ärztin assistierten Freitod wählen dürfen sollte.
Die Debatte um assistierten Suizid ist nicht zuletzt deswegen gegenwärtig von hohem Interesse, da das Bundesverfassungsgerichtes am 26. Februar 2020 ein Urteil gefällt hat, nachdem Suizid und die Beihilfe dazu rechtlich möglich sind. Aus Sicht der Richter, habe jeder Mensch die uneingeschränkte Freiheit, seinem Leben ein Ende zu setzen, entsprechend seines Verständnisses von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz, über das der Staat nicht befinden könne und daher die Möglichkeit der Wahl des Freitodes nicht behindern dürfe.
Professor Dr. Peter Schallenberg betonte aus moraltheologischer Perspektive, dass Formen der freiwilligen Euthanasie und eines assistierten Suizids ethisch nicht zu legitimieren seien, gleichwohl es Gründe dafür geben mag, dass man sie juristisch gestatten können, da es dabei um Autonomie gehe, in die der Staat gerade wegen der Würde des Einzelnen nicht eingreifen dürfe. Aber die Selbstbestimmung eines Menschen habe eben ethische Grenzen. Der unbedingte „Wert des menschlichen Lebens“ dürfe nicht verschleiert werden. Der unendliche und damit unverfügbare Wert des Lebens eines Menschen liege eben bereits im bloßen Faktum, dass er ein menschliches Wesen sei, nicht wie es ihm gehe, was er erreicht habe oder noch erreichen könne, ob er geistig oder körperlich gesund sei. „Jeder Mensch ist berufen zur liebenden Gemeinschaft mit Gott, und genau darin liegt seine unantastbare Würde. Jedes menschliche Leben ist ein Geschenk Gottes, das nur unter Aufgabe der eigenen Würde aufgegeben werden könnte“, so Schallenberg. Wegen des unendlichen Wertes, den Gott jedem Menschen beimesse, könne endliche Autonomie nicht einfach so über das Leben verfügen, dieses sei unverfügbar.
Wer die Autonomie des Menschen über sein biologisches und medizinisch zu erhaltendes Leben stelle, schaffe letztlich den Menschen als Menschen ab beziehungsweise gebe ihn der Selbstabschaffung preis, führte Professor Schallenberg weiter aus. „Einen Kranken zu töten, der um Euthanasie bittet, bedeutet keineswegs, seine Autonomie anzuerkennen und zur Geltung kommen zu lassen, sondern im Gegenteil, den Wert seiner Freiheit und den Wert seines Lebens zu verkennen. Zumal man sich fragen muss, ob die vermeintlich freie Entscheidung zum Tod nicht stärker durch Krankheit und Leid bedingt sei, also vielleicht gar nicht so frei ist. Wenn man ihm leichtfertig diesen Wunsch gewährt, wird jede weitere Möglichkeit einer menschlichen Beziehung, des Findens des Existenzsinnes auch im Leiden und darin auch gerade des Wachstums im Leben auf Gott hin verweigert.“ Und weiter: „Die Existenzberechtigung der menschlichen Person und ihres Daseins liegt einzig und allein in ihrem Sosein als reiner Ausdruck eigener Notwendigkeit begründet. Sie ist jedem Zugriff absolut und kategorisch entzogen.“ Die unveräußerliche Menschenwürde, der Ruf zur Heiligkeit gerade auch im Umgang mit Leid und damit der höchste Wert der eigenen Existenz sei immer zu respektieren und zu fördern.
Durch den Sterbewunsch eines Patienten und die damit verbundene Bitte um eine (assistierte) Tötung durch einen Arzt werde zudem das intime Vertrauensverhältnis von Arzt und Patient auf eine rein technische oder vertragliche Beziehung reduziert. Der Arzt sei dann nicht länger in Ausübung des hippokratischen Eides wie in klassischer europäischer Tradition objektiver Sachwalter des Heiles und des Willens des Patienten zugleich, um ihn nicht zu schädigen, vielmehr nur noch der Notar, der Sachwalter der eigenständigen Autonomie des Patienten.
Kurzum: Auch wenn es juristische Gründe geben möge, dass der Staat Suizid nicht verbieten könne, gäbe es keine ethische Rechtfertigung für ihn. Christen sollten sich daher vielmehr für jeden Menschen, der einen Sterbewunsch hege, einsetzen, für ihn kämpfen, damit er den Wert seines Lebens wieder sehen kann und auch in Leid, Krankheit und Verzweiflung Sinn entdecken kann. Das ist lebenspraktisch schwierig, aber von der christlichen Hoffnung auf Gott und sein Heilshandeln selber motiviert, der jedes Leben unendlich liebt und wertschätzt, und der sich für jedes Leben einsetzt und das Unmögliche möglich machen kann. Wenn hiervon kritische Impulse für das gesellschaftliche Nachdenken über assistierten Suizid ausgehen würden, dann würden sicherlich nicht nur 70,8%, sondern 99% dafür stimmen, dass wir jedem Menschen ermöglichen sollten, soviel Sinn in seinem Leben zu sehen, dass er bis zu Letzt nicht den Wunsch haben muss, diesem freiwillig ein Ende zu setzen.