Die kirchenpolitische Dimension des Ukrainekriegs

Digitales Kolloquium am Freitag, 17. Juni 2022

Der russische Angriffskrieg ist nicht nur für die Ukraine eine Katastrophe, sondern auch für Europa und die ganze Welt eine historische Zäsur. Die offene Verteidigung des Krieges durch Patriarch Kyrill als Oberhaupt der Russischen Orthodoxen Kirche (ROK) hat außerdem zu einer Spaltung innerhalb der Weltorthodoxie geführt, die auch für den ökumenischen Dialog nicht folgenlos bleiben wird. Diese kirchenpolitische Dimension des aktuellen Krieges und ihre Hintergründe waren das Thema dieses digitalen Kolloquiums. Es fand als Zoom-Veranstaltung statt.

Nach der Begrüßung der Panelisten durch den stellvertretenden Direktor der KSZ, Dr. Arnd Küppers, eröffnete der Hildesheimer Bischof Dr. Heiner Wilmer SCJ das Panel in seiner Funktion als Vorsitzender der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Bischofskonferenz. Er brachte zum Ausdruck, dass ein Format wie dieses digitale Kolloquium notwendige Vorrausetzung sei, um einander im ökumenische Dialog zu verstehen, den insbesondere die verschiedenen orthodoxen Kirchen in der Ukraine zu führen hätten; Ziel sei es seines Erachtens Verstehens-Barrieren zu überwinden.

Die ersten Panelisten zeichneten dabei die Dimensionen des Krieges als innerorthodoxen und innerukrainischen Konflikt aus. Nataliya Karfut, die als ukrainische katholische Theologin aus Rom zugeschaltet war, zeigte die jüngeren Entwicklungen, die zu einer Abspaltung orthodoxer Gemeinden von der zum Moskauer Patriarchat gehörenden orthodoxen Kirche geführt hatten. Diese mündeten in die Gründung der „Orthodoxen Kirche in der Ukraine“, die vom griechisch-orthodoxen Patriarchen von Konstantinopel anerkannt wurde, wohingegen die „Ukrainisch-orthodoxe Kirche“ weiter zum Moskauer Patriarchat gehörte.

Die komplexen Entwicklungen griff Prof. Dr. Thomas Bremer, Inhaber des Lehrstuhls für Ökumenik, Ostkirchenkunde und Friedensforschung an der Universität Münster, ebenfalls auf und zeichnete ein detailliertes Bild der Geschichte der Spaltungen der Kirchen. Zudem verwies er auf das aus seiner Sicht problematische Verhalten von Papst Franziskus im Ukraine-Krieg: Es bestehe die Gefahr, dass er sich von der russisch-orthodoxen Kirche instrumentalisieren lassen könnte, weil er sich nicht deutlich genug von der Kriegspropaganda des Moskauer Patriarchen Kyrill abgrenze.

Prof. Dr. Sergij Bortnyk, der für die „Ukrainisch-orthodoxe Kirche“ als die zum Moskauer Patriarchat gehörende Kirche in Kiew arbeitet, machte deutlich, dass seine Kirche in einer schwierigen Lage sei: einerseits gehe man auf Distanz zum Moskauer Patriarchat, andererseits verhindere die traditionell konservative und antiökumenische Haltung eine Annäherung an die „Orthodoxe Kirche in der Ukraine“, die zum Patriarchat von Konstantinopel gehört. Er sieht aber die Möglichkeit, dass sich seine Kirche gemeinsam mit den anderen russisch-orthodoxen Kirchen im Ausland von Moskau abspalten könnte.

Der orthodoxe, in Bamberg und im rumänischen Targoviste lehrende Theologe Prof. Dr. Daniel Munteanu weitete dann die Perspektive und machte klar, dass die Verquickung von Kirche und Kriegspropaganda nicht nur die Ukraine, sondern die ganze Orthodoxie beträfe und diese in eine tiefe Glaubwürdigkeitskrise stürze. Seines Erachtens sei es daher geboten, nicht nur eine orthodoxe politische Ethik, sondern auch eine entsprechende Ethik des Politischen zu entwickeln.

Daran schloss inhaltlich das letzte Referat der Freiburger Sozialethikerin Prof. Dr. Ursula Nothelle-Wildfeuer an, die katholische und orthodoxe Friedensethik entlang der jüngsten päpstlichen Sozialenzyklika Fratelli tutti und des 2020 von den Kirchen des Patriarchats Konstantinopel veröffentlichten Dokuments For the Life of the world zum orthodoxen Sozialethos miteinander ins Gespräch brachte. Der Ukrainekrieg bedeute auf dieser Grundlage nicht die Notwendigkeit die Theorie des gerechten Krieges wiederzubeleben, wohl aber müsse mitbedacht werden, dass die vollständige Überwindung von Gewalt utopisch sei und Verteidigung gegen Waffengewalt in der christlichen Friedensethik stärker reflektiert werden müsse.

Stefan Gaßmann, Wissenschaftlicher Referent der KSZ

Zum Mitschnitt der Veranstaltung im Vodcast der KSZ:

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